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Mama erzählt über die vier schwersten Jahre ihres Lebens:
die Zeit ihrer Deportation in Russland

 

Heute ist meine Mutter, Margarete Schneider, 
bereits 93 Jahre alt. Sie wurde am 4. Oktober 1927
 im banatschwäbischen Dorf Eichenthal geboren und
 lebt seit vielen Jahren in Königsbrunn bei Augsburg.
 Die nachfolgende Geschichte über jene schicksals-
schweren Nachkriegsjahre hat sie mir nach vielen
 Jahren des Schweigens zum allerersten Mal am
 27. Oktober 2013 erzählt. Es ist die Geschichte
 über die Zeit ihrer Deportation zur Zwangsarbeit 
in die damalige Sowjetunion.
Als Zeitzeugenbericht wurde sie im Dezember 2017
 auch in das Archiv der Stiftung Flucht, Vertreibung,
 Versöhnung in Berlin übernommen. Auch erschien der
 Beitrag in der „Banater Post“ am 20. Januar 2021:.


"Es war am 16. Januar 1945.
In Eichenthal und in der gesamten Region (Banat) fanden
zu jener Zeit keine Kampf- oder Kriegshandlungen mehr
statt, da die sowjetische Armee ihrem siegreichen Weg
gegen Westen, das Banat und ganz Rumänien bereits
überrollt hatte und sich überall im Banat – und auch
in Eichenthal –„niedergelassen“ und die Verwaltung und
 Organisation der Banater Ortschaften übernommen hatte.

 Und als Erstes sollte alles, was deutsch war, registriert und
bestraft werden, abgesehen von den bereits stattgefundenen
"Bestrafungen" und Racheakten an den Deutschen in Eichen-
thal wie auch in ganz Rumänien, wie Raubüberfälle, Prügel-
 aktionen, Vergewaltigungen, Erniedrigungen und Ähnlichem.

Bei uns in Eichenthal fanden auch Registrierungen aller
Volksdeutschen statt, aber wir konnten nicht ahnen, was das
für uns zu bedeuten hatte. Und schon am 16. Januar 1945
erschienen in meinem Elternhaus zwei sowjetische und ein
rumänischer Soldat, um meine bereits registrierte Schwester
Veronika abzuholen. Die Vroni, bereits 20-jährig, war aber
nicht zuhause, so dass sie mich festnahmen und energisch
aus der Stube raus schubsten, obwohl ich gerade erst 17
  Jahre alt geworden war.

Ich ging nicht freiwillig mit den Uniformierten mit, hatte
aber keine andere Wahl, denn sonst hätten sie meine Mutter
oder meinen Vater festgenommen und abgeführt. Sie ließen
mir gar keine Zeit, mich umzuziehen oder wärmer anzukleiden,
obwohl es draußen eisig kalt war. Die Uniformierten stießen
mich vor sich hin, raus auf die Dorfstraße und in Richtung
Dorfschule. Und da ich auch nicht ganz still und zahm gegen
die Festnahme war, stieß mir einer den Gewehrkolben heftig
in den Rücken, dass ich bäuchlings zu Boden fiel und mir
 starke Kratzer im Gesicht, an Armen und Beinen einholte.

Das Klassenzimmer der Dorfschule füllte sich langsam
mit mir bekannten Landsleuten, die wahrscheinlich das
gleiche Schicksal erwarten sollte wie mich. Keiner von uns,
auch nicht die Dorfbevölkerung oder unsere Angehörigen
wussten, was mit uns geschehen sollte, wohin wir gebracht
werden sollten. Und das, bis zu dem Tag, an dem wir in
Russland aus dem Zug stiegen. Es gab vorher nur
 Gerüchte im Dorf, die nichts Gutes vermuten ließen.

Wir verbrachten zuerst paar Tage unter Arrest im Klassen-
zimmer der Eichenthaler Schule, ohne Kontakt nach außen.
Ich erinnere mich noch daran, dass mir mein Vater damals
einen kleinen Koffer mit warmen Wintersachen und Unter-
wäsche brachte - mehr war nicht erlaubt - was all die
nächsten vier schwersten Jahre meines Lebens im sowje-
 tischen Arbeitslager als Kleidung herhalten musste.

Danach wurden wir in die Kreisstadt Lugosch (Lugoj)
gebracht, wo wir in Waggons verladen wurden. Es dauerte
paar Tage, bis unsere Papiere überprüft wurden, um danach
 weiter ostwärts transportiert zu werden.

Auch nach Lugosch kam mein besorgter Vater und brachte
mir gerade noch rechtzeitig meinen dicken Wintermantel.
Direkten Kontakt durfte man ja zu keinem Menschen haben,
 auch nicht zum Vater oder zur Mutter.

Die Übergabe des Mantels an mich erfolgte ganz geheim,
direkt in den Waggon, in dem ich, gemeinsam mit
vielen anderen Landsleuten, eingesperrt war. Es gab
natürlich keinen Kurier, der mir das Kleidungsstück hätte
überreichen wollen oder dürfen, auch kein Fenster, das
geöffnet werden durfte, und auch keinen Türspalt oder
sonst eine andere vernünftige Möglichkeit, um in den
Besitz meines Mantels zu gelangen, nur das kleine kaum
kopfgroße Loch im Fußboden des Waggons, das uns seit
Tagen und auch in den folgenden Wochen als Abort
(WC / Toilette) diente. Gut in Zeitungspapier eingewickelt,
wurde dann mein Mantel – natürlich in recht unhygienischem
Zustand – in die „gute Stube“ reingeschubst, so dass er
mich während der langen Fahrt bis in die Sowjetunion
 doch noch wärmen konnte. Und auch viele Monate später...

Der Transport mit dem Zug durch Rumänien war sehr
strapaziös. Wir waren ungefähr 30 Personen in meinem
Waggon und schliefen dort auf harten Pritschen. In einer
Ecke stand ein kleiner Ofen, der aber kaum Wärme abgab.
Ab und zu hielten wir in größeren Bahnhöfen, wo wir
 mit frischem Trinkwasser versorgt wurden. 

Schlimmer war es, wenn man seine Notdurft verrichten
musste. Einige Leute verhüllten dabei den Platz mit
größeren Decken, aber der unangenehme Geruch wollte
 danach nicht so ganz aus dem stickigen Waggon verschwinden.

Nach ungefähr 13 Reisetagen durch Rumänien, ab Eichenthal,
über die Städte Lugosch im Banat und Jassy (Iași), ganz im Nord-
osten Rumäniens, folgten weitere 15 qualvolle Tage in Vieh-
waggons durch Russland, bis wir am 12. oder 13. Februar 1945
 unser unbekanntes Ziel erreichten:

das Arbeitslager "Romanka"  bei Krasnodar im Donbassgebiet,
 ein 
großes ukrainisches Kohlenrevier am Kaukasus, in der

damaligen UdSSR (Sowjetunion). In Krasnodar, das heute in
Russland liegt, befand sich das Kriegsgefangenenlager  Nr. 148
 für deutsche Kriegsgefangene des Zweiten Weltkriegs. 

Unsere Verladung in russische Viehwaggons erfolgte in
Jassy. Der weitere Transport in diesen Waggons war übelst.
Unser Waggon, der vollgepfercht war mit noch mehr
Landsleuten als bisher, nicht nur aus Eichenthal, sondern
auch aus anderen banatschwäbischen Dörfern, war mit
muffigem, stinkigem, schmutzigem und total verlaustem
Stroh ausgelegt, auf dem wir schlafen mussten.
Wir wurden darin von Läusen, Flöhen und anderem
Ungeziefer buchstäblich überfallen, und wir wurden
 diese auch im sowjetischen Arbeitslager nicht

wieder los. Dort kamen auch noch Wanzen hinzu,
 die unser Leben zusätzlich zur Hölle machten
.

Und dann waren wir da: in einer eisigen, weiten und schier
endlosen Gegend, verloren, traurig und nicht wissend,
 wie es weiter gehen würde.

Es folgte ein stundenlanger Fußmarsch, wir stiefelten durch
hohen Schnee, hatten aber zum Glück kein schweres Gepäck
dabei. Ich denke, das wurde irgendwie zu unserem Lager
 hin transportiert. 

Das Arbeitslager  bestand aus drei großen ehemaligen Kriegs-
kasernen, mit Parterre und erstem Stock, die recht stabil aus-
sahen. Sie waren aus Brettern gebaut oder zusammengezimmert,
 und zwischen den Brettern mit gestampftem Sägemehl gefüllt.

Nachdem wir unsere Pritschen zugeteilt bekamen, ging es
zuerst in die Entlausungsstelle. Dort lernten wir auch unsere
Lagerärztin kennen, die mir in späteren Jahren medizinische
 Hilfe leisten sollte.

Mit mir in einem kleinen, kalten Schlafraum waren 12 Personen.
Je zwei Eisenpritschen standen übereinander und hatten sogar
einen Strohsack. Auf jeder Pritsche schliefen immer zwei Frauen
Ich hatte das Glück, die Schlafstelle mit meiner Freundin
 und Kusine, aus Eichenthal, dem FISCHER Rosl, zu teilen.

Mit mir in Romanka waren auch diese Eichenthaler Landsleute:
die Schwestern PETRI Leni und PETRI Gredl, PETRI (oder
CHRISTIANs) Anna, PETRI (oder KRESSNERs) Nani, meine
beiden Cousinen WOSNEK Luisa und FISCHER Rosl, dann
der ADAM Pauli und auch BUSCHBACH Niklos, der 1947
 bei einem schweren Grubenunglück leider tödlich verunglückte.

Zum Waschen gingen wir in einen gemeinsamen Waschraum;
wir aßen in einer gemeinsame Kantine. Das Essen war sehr,
sehr dürftig. Morgens gab es höchst selten einen dünnen
Tee mit Brot, aber in der Regel gab’s schon am Morgen
Kohl oder manchmal gedünstete Hirse mit Spuren von
Hackfleisch und ab und zu Fischestückchen (ryba) darin.
 Wir aßen aus Tontellern und alles nur mit Löffeln. 

Da wir in der Kohlengrube in Dreischichtarbeit eingeteilt
waren, gab es eben schon am Morgen, auch zu Mittag
und am Abend immer nur diese ewig gleichen Menüs,
ein geschmackloser, gekochter Mischmasch oder Brei,
mal aus Kohl, mal aus Hirse (Kasha), mal mit Kraut
 oder aus Undefinierbarem.

Brot gab es auch zum Essen. Das erhielt man rationiert
und abhängig von der Arbeit, die man verrichtete. Da ich
tief unten in der Kohlengrube arbeitete, erhielt ich die
„Höchstration“, das waren 1 kg und 50 Deka Brot. Andere,
die nicht tief unten, sondern oben an der Kohlenkippstelle
in eisiger Kälte schufteten, erhielten sogar noch weniger.
Das Brot schmeckte nicht gut, aber stillte irgendwie den
Hunger und diente manchmal als „Handelsobjekt“ am
„Basar“ vorm Lagertor. Dort tauschte man es notgedrungen
gegen gekochte Rüben, Kefir (eine Art sauere, steife Milch),
Zucker, Sonnenblumenkerne oder Seife ein, da man solche
Lebensmittel oder Hygieneartikel selbst kaufen musste und
uns nicht auf Ration zugeteilt wurden. Und der Monatslohn
 reichte nicht, um sich reichhaltiger ernähren zu können. 

Wir mussten jeden Tag zur Arbeit. Alle aus dem Lager
Romanka, das waren Frauen aus Eichenthal, Bakowa,
Lugosch, dann auch Männer aus verschiedenen Banater
Orten, arbeiteten in und um der Kohlengrube; und das
in drei Schichten, so dass man sich eigentlich kaum traf
oder sprechen konnte, denn vor der Arbeit musste in Eile
gegessen, umgezogen und losmarschiert werden, um
rechtzeitig und zu Fuß an der Arbeitsstelle anzukommen;
und nach der Schicht musste man sich umziehen, waschen
und in die Kantine. Danach war man todmüde und fiel
 gleich ins Bett (sprich: auf die Pritsche).  

Was wir trotz der Müdigkeit spürten, das waren die
widerlichen Läuse und Flöhe. Die waren bereits in unserer
Arbeitskluft versteckt. Das waren dicke, steife und dreckige
lange Arbeitshosen – nicht zu verwechseln mit den abge-
steppten bekannten russischen „Pufoaicas“- die einige im
Winter gegen die Kälte trugen. Unsere Arbeitshosen ließen
wir nach der Arbeit immer in einem kleinen Vorraum,
um sie für den nächsten Arbeitsgang wieder anzuziehen.
Selbst wenn ich vor der Arbeitskluft saubere Unterwäsche
anzog, so krochen die Läuse danach gleich aus der
verdammten Arbeitshose auf die Haut und saugten
sich dort fest. Nachts kamen die Wanzen hinzu! Die
 schlimmsten Quälgeister, die man sich vorstellen kann!

 An den Füßen trug ich - und alle anderen Leidensgenossen -
ein Paar Galoschen, die mir zu groß waren, aber ich wickelte
die Füße zuerst in ein Packen Zeitungspapier, wickelte zudem
Papier um die Hose überm Schienbein und umwickelte
das alles mit Draht, das von der Sprengstoffschnur aus
der Kohlengrube herrührte. So kriegte ich keine kalten
Füße und Beine und schützte sie gegen die kantigen
Kohlenstücke, die ich in der Grube auf die kleinen
 Kohlewaggons, die Loren, schaufeln musste. 

Die Arbeit in der Grube selbst war hart. Ich gehörte zu
den Kohleschauflern im letzten Teil des Schachtes, also dort,
  wo täglich neue Kohle gefördert und abgesprengt wurde.

 Dabei wurden zuerst kleine Löcher in die Kohlenwand.
gebohrt. Danach kamen zwei russische Sprengerinnen – die
eine hieß Froska und die andere Vera – die Sprengpulver
dort rein legten. Wir mussten nach ihrem Warnruf „Palit!“
zurückweichen, so weit es eben ging. Dann wurde das
Pulver von Froska und Vera angezündet, und nach der
Explosion fiel im dicken Rauch- und Kohlenstaub ein kleiner
Berg von Kohlen auf einem großen Haufen übereinander.
Bevor wir, Frauen und Männer, die Kohle in kleine Loren
("Waggonetteln") reinzuschaufeln begannen, kamen zuerst
paar Männer, um zu überprüfen, wie sicher das Gerüst
noch war, und stellten Stützen auf, um ein Herunterbrechen
 der Stollendecke zu verhindern. 

Die Kohle wurde von uns ununterbrochen und mit ohren-
betäubendem Krach runter in 3 bis 6 Loren geschaufelt,
die wir anfangs mit eigener Kraft bis zur Kippstelle, also
zur Abnahme- und Umladestelle an der Erdoberfläche
schieben und ziehen mussten. Erst viele Monate später
halfen uns Pferde beim Transportieren der Loren. Ich war
dann ein sogenannter „Konohontschik“, d.h. ich spannte
das Pferd vorne an das erste "Waggonettel" ein, hing
dahinter drei bis sechs weiter Loren an und lenkte per
Handzug das Pferd samt Anhang bis nach oben zur
„Borusska“. An dieser Plattform, ganz oben, wurde
die Kohle weiter nach oben gehoben, ausgekippt
und die leeren Loren von mir wieder mit dem Pferd
 zurückgeführt.

Zusammen mit mir arbeiteten im Schacht auch Frauen
aus Bakowa. Da fallen mir die Namen zweier Schwestern
ein, die Eva und die Susi Tuckorn. Dieser Familienname ist
mir heute nicht mehr so klar in Erinnerung, aber ich weiß,
dass die Eva dort leider umkam. Die Susi kehrte wenigstens
 in ihr Heimatdorf wieder zurück.

Auch an eine Maria aus Bakowa kann ich mich erinnern.
Sie arbeitete mit mir unten im Schacht 9 und zwar auch
als „Zugpferd“ vor den Kohlenwaggons (Loren).
 Ob sie heute wohl noch lebt? 

Verschleppte Frauen im Schacht 9, Arbeitslager Romanka Region Krasnodar (1948)

Denn damals starben ganz viele Frauen, nicht nur
an Hunger und Unterernährung, sondern auch an
Typhus oder Prügel. So wurde eine Frau mal nach
einem Fluchtversuch fast tot geprügelt. Man weckte
uns mitten in der Nacht, jagte uns raus in die eisige
Kälte, wo wir zugucken mussten, wie man die junge
Frau blutig und halb tot schlug. Das geschah
 wahrscheinlich zu unserer Abschreckung.

Eine andere junge Frau und ihr Vater, denen die
Flucht aus unserem Lager gelungen war, wurden
aber an der Grenze gefangen genommen und
 gnadenlos erschossen.

Die schwere Arbeit in der Grube ging so Tag
für Tag, auch samstags und sonntags, acht Arbeits-
stunden lang. Wenn wir mal einen freien Tag hatten,
dann nutzten wir diesen, um unsere Wäsche zu
 waschen oder uns (wieder mal) zu entlausen.

Briefe oder Nachrichten von zuhause erhielten wir nur
ganz spärlich, und dann lasen wir den Brief allen vor
und sprachen lange darüber. Aber das Zuhause war
so weit weg, dass wir schon gar nicht mehr wussten,
  wie sich so was anfühlte oder gar aussah.

Ab und zu schrieben wir auch nach Hause, aber wir
wussten nie, ob diese Post dort auch ankam. Außerdem
konnten wir kaum was Gutes berichten, so dass wir es
lieber sein ließen. Trotzdem gibt es einige Briefe, die
sogar noch erhalten geblieben sind. Vielleicht kann
einer hier mal veröffentlicht werden, obwohl keiner
von mir stammt, so wie dieser hier, der von Maria M.
 aus Bakowa noch erhalten geblieben ist.

Kontakt zur russischen Bevölkerung aus der Umgebung
des Arbeitslagers hatten wir kaum. Und wenn, dann
nur am "Basar" oder zu den Sprengerinnen Froska
und Vera. Aber diese waren nie böse uns gegenüber.
Unsere "Natschalniks" - das waren unsere Aufseher -
waren streng uns gegenüber, damit wir ja fleißig
 unsere Arbeit verrichteten und unsere Pflicht erfüllten.

Natürlich kam es zu Unfällen in der Kohlengrube,
die oft tragisch endeten. Auch ich hatte so einen
 Unfall, der mich für lange Zeit ans Krankenbett fesselte.

Als wir eines Tages die Kohle nach der Sprengung weg
schaufelten, hörte man, wie gewöhnlich vor lauter Krach,
überhaupt nicht, dass die Decke ins Rutschen kam. Sie
brach über mich herab, und nur mit viel Glück konnte
ich aus dem Kohlehaufen befreit werden. Hände, Bein
und Nase waren gebrochen. Ich wusste lange Zeit
 nichts von mir.

Ich kam ins Krankenhaus nach Kapitalnaja in Krasnodar
und nach langer Zeit wieder zurück in unser Lager,
wo mich die Lagerärztin, so gut es eben ging,
wieder zusammenflickte. Auch heute noch sind Spuren
von blauem Kohlenstaub auf meinem Nasenrücken,
auf meinen beiden Armen und am Schienbein sichtbar.
Dicke blaue Streifen. Und riechen mit meiner Nase
 kann ich seither auch nicht mehr.

 Nach dem schrecklichen Grubenunglück war ein Arbeits-
einsatz in der Grube für mich nicht mehr möglich.
Ich konnte mich nur noch mit Krücken fortbewegen.
Ein halber Krüppel!
Da ich zu nichts mehr nutze war und nur noch im Sitzen
so halbwegs "arbeiten" konnte, half ich zuletzt in der
 Näherei und im Sanitätsraum des Lagers aus. 

Man behielt mich nur noch kurze Zeit im Lager, damit
ich ihnen nicht etwa auf sowjetischem Boden verrecke
und den Krankenheimtransport noch halbwegs lebend
 überstehen könnte.

 Am 11. Oktober 1948 begann für mich die mehr als drei
Wochen lang dauernde beschwerliche aber dennoch
hoffnungsfrohe Rückreise vom Albtraum "Romanka"
  zurück in mein Banater Heimatdorf Eichenthal.

Auf der Heimreise stahl man mir zu allem Pech auch
noch alle Unterlagen, sogar meine Krücken, so dass ich
daheim einen völligen Neustart beginnen musste.
Zum Glück war meine Mutter Hebamme und päppelte
mich nach und nach wieder auf, so dass ich langsam
wieder am normalen Dorfleben teilnehmen konnte.
Für mein erstes richtiges Kirchweihfest, das kurz
bevorstand und das in Eichenthal immer auf
Martini (11.11.) fällt, damals jedoch erst am
darauffolgenden Sonntag, dem 14.11.48, gefeiert
wurde, konnte ich mir noch ganz schnell aus einem
alten Kleid meiner älteren Schwester auch endlich ein
 eigenes Festkleid handarbeiten und stolz zum Fest tragen.

Zu allerletzt möchte ich noch an Weihnachten in Romanka
erinnern. Wir hatten eigentlich nie Zeit oder Lust, etwas
zu feiern, weder Geburtstage noch Namenstage, noch
Kindergeburten - die es dort auch gab - , aber zu
Weihnachten gab's trotzdem immer eine kleine "Feier",
die uns an Zuhause erinnern sollte und unsere Zuversicht
an eine gesunde und baldige Rückkehr dorthin stärkten.
Wir hatten nämlich nach und nach unseren Glauben
 daran völlig verloren.

Zu Weihnachten wurde im kleinen Gang unseres Lagers
von der Arbeitsgruppe, die gerade Schichtende hatte,
ein Christbaum mit farbigen Kleinigkeiten geschmückt.
Und dann standen wir ringsherum, beteten, sangen
Weihnachtslieder und dachten ganz stark an Zuhause.
Es war großartig, dass unsere Aufseher das zuließen.
Also war die Menschlichkeit auch an jenem Ort
 des Schreckens noch nicht ganz verschwunden.

Viele kehrten niemals von dort zurück, ganz wenige,
so wie ich, nur als kranke Menschen, aber die meisten
kamen erst 1951 aus der sowjetischen Verbannung
zurück in die Heimat, wo sie noch viele Jahre brauchten,
um das Ganze zu verarbeiten, zu verdrängen oder
 - im seltensten Fall - zu vergessen.

Ich könnte noch viel mehr darüber erzählen, aber die
Erinnerungen schmerzen immer noch und in meinem
jetzigen hohen Alter - am 4. Oktober 2013, wurde ich
86 - da wünsche ich mir, dass so was wie Krieg
  oder ein Romanka NIE wieder vorkommt!"

 

 Mama, so soll's sein! Das wünschen wir uns alle!
Und hab' Dank für deine Erinnerungsschilderungen!

Das Grauen der Verbannungsjahre hatte meine Mutter
 1955 bestimmt noch nicht ganz überwunden, aber sie
 konnte zuversichtlich in die Zukunft blicken, da sie ihre
Familie – ihren Ehemann Josef Schneider (1911-1993)
 und uns drei Kinder Rosl (geb. 1950), Seppy (geb. 1951) 
und Anny (geb. 1952) – um sich hatte.

      

 Alles Gute und Gesundheit weiterhin,

wünscht dir's
Annala,

heute, am 27. Oktober 2013

aktualisiert am 20.Januar 2021

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