Die gute Puppe aus meiner Kindheit
Der Mais - wir Eichenthaler sagten dazu "Kukrutz"
(oder "Kukruz") - konnte jederzeit von uns, ob jung,
alt oder ganz jung, vielfältig genutzt werden.
Kukrutz war einfach genial!
Der Mais wurde im Herbst direkt im Maisfeld gebrochen.
Dabei wurden die Kolben aus den Maislieschen rausgeholt
und - schwups - auf Haufen gesammelt und mit dem Pferde-
wagen nach getaner Arbeit nach Haus in Schuppen oder
Scheune ("Schopp" oder "Hambar") gebracht.
Andere Male wurden die Maiskolben samt ihren Lieschen
geerntet. Die Lieschen wurden dann - erst nach dem
Trocknen - in gemeinsamer Familienarbeit, an langen
Winterabenden, zuerst von den Maiskolben
"geliescht".
Später wurde der Mais "geriwwelt", also die Maiskörner
mit einem reibeisenartigen Handgerät vom trockenen
Maiskolben abgeribbelt und gut trocken gelagert,
da diese im Winter hauptsächlich als Tier- und
Geflügelfutter genutzt wurden.
Die abgeribbelten Kolben waren ein wertvolles
Heizmaterial für lange und kalte Tage.
Das Maishaar wurde auch genutzt, hauptsächlich
für Tee, aber von Jugendlichen manchmal
unerlaubter- und versteckterweise sogar als Tabak.
Ein Teil des Kornguts wurde in Säcken zu einer Dorf-
mühle gebracht und für Küken oder für uns Menschen
zu Maismehl oder Maisgrieß gemahlen.
Daraus wurde "Mamaliga", also Maisbrei (Polenta),
gekocht. Und darüber kam dick Rahm oder Topfen
von der eigenen Kuh, unserer Mathilde.
Lecker war das!!
Auch der Riwwelsterz war lecker. Das war eine
böhmische Spezialität aus dem Elternhaus meiner
Mutter, und dann mit Marmelade oder Kompott dazu:
Zu Feiertagen gab's natürlich Krautwickel (gefülltes
Kraut oder "sarmale") aus selbst eingelegtem
Sauerkraut mit Rahm darüber und Weißbrot dazu;
und viele Jahre später - immer noch Krautwickel,
aber mit Mamaliga (Polenta) als Beilage dazu.
Damals machte uns Tata öfter "Patsch-Kukrutz"
(gepatscht = geplatzt). Der hüpfte und tanzte nur so
in der heißen Pfanne mit Drahtdeckel, bis er weiß, dick
und köstlich riechend rausgenommen werden konnte.
Heute heißt diese Maisspezialität "Popcorn".
Hochdeutsch, halt... Schmeckt aber genau so gut
wie unser Patschkukrutz damals!
Solange der Kukrutz noch jung, grün und saftig war,
gab's oft auch gekochten Kukrutz.
Die getrockneten Lieschen, in denen der Mais eingekleidet ist,
zumindest die feineren, wurden in einem Lieschensack
gesammelt und dienten so als Matratze. Natürlich musste
diese "Matratze" öfter aufgelockert werden, da
man sonst darauf nicht gut einschlafen konnte.
Und eine neue solche "Matratze" kam dann auch öfter
ins Bett, da sie außer Arbeit ja kaum was kostete...
Aus Lieschen wurden aber auch Matten oder Körbe
geflochten, und auch der eine oder andere daraus
gefertigte kleine Dekoartikel fand im Haus seinen Platz.
Auch "Patsche" (Schlappen) fertigte man hie und da
aus Maislieschen.
Die Maisstängel wurden in 8-10-er Büschel zusammen
gebunden und ganz dicht nebeneinander im Hinterhof
zu einem Schober aufgestapelt, so dass Regen und
Schnee nicht durchdringen konnten, da diese gehäckselt
als Winterfutter für die Haustiere dienten.
Die Storzen, die auf dem Feld von der Maisernte übrig
geblieben waren, blieben da auch nicht lange liegen,
denn sie wurden von armen Leuten eingesammelt
und verfeuert.
Wie Ihr seht, war der Eichenthaler Schwabe immer
schon sehr einfallsreich und sparsam und wusste
sich immer zu helfen. Und das schon ab den
ersten Lebensjahren. Jaja!!
Und dazu fällt mir hier gerade noch eine weitere
"Verwendung" von Kukrutz ein. Ich habe zwar nur
die ersten sieben Jahre meines Lebens in
Eichenthal verbracht, aber trotzdem die ganze
"Verwertungsgeschichte" des Mais' miterlebt,
vom Aussäen der Kukrutzkörner am Feld bis
zum Verbrennen der Kolben im Ofen.
Doch wisst Ihr, wie meine erste Puppe aussah?
Es war ein Kukrutz, an dem ich die feinsten Lieschen
dran ließ und zu zwei dicken blonden Zöpfen flocht.
Anstelle von Augen, Nase und Mund stach ich
die Maiskörner aus dem Kolben raus, so dass mein
"Baby" auch ein echtes hübsches Gesicht bekam.
Hier, so ähnlich:
Meine Puppe hatte auch immer einen hübschen Namen,
sie hatte eine Seele, und ich konnte damit zusammen
mit Rosl, meiner Schwester, Stunden lang spielen.
Wir vergaßen dabei die Welt um uns herum. Und wir
brauchten gar keine elegante "Barbie". Für uns waren
unsere Puppen die schönsten Puppenbabies auf der Welt.
Und ich war bestimmt nicht die einzige solche
Puppenmammi in Eichenthal!
Es war einfach schön! Wir waren so unbeschwert
glücklich und zufrieden damals!
Grüße von mir,
Annala
heute, am 12. Mai 2012